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Andreas Tameling | Redhead

(R)evolution der Unternehmenskultur

„Wir sind mitten in einem Umwälzungs- und Veränderungsprozess, der so gewaltig ist wie der von der Agrar- in die Industriegesellschaft.“ So prägnant beschreibt der Journalist Wolf Lotter den Wandel, der sich mit zunehmender Dynamik in unserer Arbeitswelt vollzieht. An mehreren Stationen meiner „Bildungs- und Kulturreise“ in den ersten Monaten des Jahres treffe ich auf Menschen und Organisationen, die der neuen Herausforderung bereits mit klugen Lösungen begegnen. Eines wird dabei schnell klar: Auch inhabergeführte Augenoptikbetriebe könnten sich einen kräftigen Vorsprung verschaffen, wenn sie die Chancen des Kulturwandels zukunftsorientiert nutzen.

Ein Abend im März 2018. Zusammen mit etwa 500 Gleichgesinnten sitze ich im fast voll besetzten Saal eines Kölner Programmkinos. Hier soll gleich eine Premiere stattfinden – kein amerikanischer Blockbuster, sondern die Buchverfilmung über einen deutschen Unternehmer. Kurz bevor das Licht ausgeht und der Film beginnt, schiebt sich noch ein einzelner Mann Mitte Vierzig auf einen der letzten freien Plätze direkt in der Reihe vor mir. Es ist Bodo Janssen, ohne den es diesen Film „Die Stille Revolution“ gar nicht geben würde. Denn er ist Hauptakteur und Autor des gleichnamigen Buches, das in der Unternehmenswelt gerade für Aufsehen sorgt.

Sehnsucht vieler Mitarbeiter nach menschlicher Führung

Buch und Film erzählen von der bemerkenswerten Veränderung des Unternehmers: Nach dem plötzlichen Tod seines Vaters wird er mit Anfang Dreißig Chef einer Hotelkette. Wirtschaftlich führt er das Unternehmen nicht ohne Erfolg, doch die Mitarbeiterzufriedenheit sinkt. Kündigungsrate und Fehlzeiten steigen, Bewerbungen bleiben aus – der Betrieb hat einen schlechten Ruf. Die Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung zeigen schließlich schwarz auf weiß: Die Angestellten wollen einen anderen Chef als Bodo Janssen. Sein Führungsstil ist für sie der Grund ihrer Unzufriedenheit.

Janssen ist erschüttert, besucht daraufhin Seminare im Kloster und versucht, sich über seine Ziele klar zu werden. Er denkt viel über das Thema Führen nach. Seine Erfahrungen lassen ihn schließlich einen anderen Führungsstil wählen: Statt das Unternehmen profitorientiert zu leiten, arbeitet er an sich selbst und begegnet seinen Mitarbeitern jetzt auf Augenhöhe. Mit Erfolg: Die Mitarbeiterzufriedenheit und Zahl der Bewerbungen steigen wieder an. Und nicht nur die – auch die Unternehmensumsätze klettern plötzlich nach oben: Wertschöpfung, die auf Wertschätzung beruht.

Kristian Gründling, der Regisseur des Films, zeigt auf emotionale und eindrucksvolle Art und Weise, wie Bodo Janssen es schafft, durch seine ganz persönliche Veränderung die harte Führungslinie und das ausschließlich betriebswirtschaftliche Denken in Zahlen, Daten und Fakten zu verlassen – und dabei exakt den Nerv und die Sehnsucht vieler Mitarbeiter nach menschlicher Führung zu treffen.

Ein Beispiel, das Impulse setzt und Mut macht für Veränderung. Im Anschluss an die Podiumsdiskussion, die dem Film in Köln noch folgt, sehe ich vielen Kinobesuchern an, wie sehr das Thema sie berührt hat.

Auf Fehler wird mit Champagner angestoßen

Im Februar begegne ich zum ersten Mal Benjamin Keller. Der Mittdreißiger ist studierter Diplom-Kaufmann und tritt als Gastreferent im Seminar Benchmarking zum Thema „Mitarbeiter? Finden und binden!“ vor Inhabern qualitätsorientierter Augenoptikbetriebe auf. In seinem Vortrag gibt er Einblicke in das Feelgood Management. Nur ganz wenige Teilnehmer können sich zunächst etwas unter diesem Begriff vorstellen. Was ist und macht ein Feelgood Manager?

Vor dem Hintergrund von Fachkräftemangel und Wertewandel in den nachrückenden Generationen unterstützt Keller Chefs und Mitarbeiter für ein besseres Miteinander am Arbeitsplatz – ebenfalls basierend auf den Grundpfeilern gegenseitiger menschlicher Wertschätzung. Als Feelgood Manager ist er in den Unternehmen Kulturgestalter, Kulturwandler oder Kulturwächter und initiiert damit die bestmöglichen Rahmenbedingungen zur vollen Potenzialentfaltung, Leistungsfähigkeit und zum Wohlbefinden aller Beteiligten.

Im Seminar zeigt er, wie facettenreich Unternehmenskultur gelebt werden kann. Willkommens- und Abschiedskultur, Feedback- und Lobkultur sind nur einige Kategorien, die er thematisiert. Schmunzelnd schildert der umtriebige Oberfranke ein Beispiel zum Thema Fehlerkultur: „Ein Nürnberger Hotel stößt auf Fehler mit Champagner an. Wer einen Bock schießt, wird auf der nächsten Teamparty ausgezeichnet. Fehler werden gekürt, um die Leute zu ermuntern, innovative Dinge auszuprobieren. Die Angst, Fehler zu machen, ist dann komplett weg.“

Ausgebildet und zertifiziert wurde der Experte vom Hamburger Spezialisten GOODplace – einer Organisation, die ihr Netzwerk derzeit aufgrund der steigenden Nachfrage nach zukunftsfähigen Lösungen für die neue Arbeitswelt in Deutschland intensiv ausbaut. „Der Feelgood Manager ist weder Klassenclown noch Kümmerer vom Dienst, sondern fungiert als Schnittstellen-Partner für das Thema Mensch und Kultur“, stellt Benjamin Keller klar. „Am Ende entscheiden nicht bunte Wände, ein Bällebad oder der Kicker. Viel wichtiger für den Erfolg eines Unternehmens ist, welche Werte es lebt und wie authentisch diese vermittelt werden. Wenn Mitarbeiter morgens mit einem Lächeln am Arbeitsplatz erscheinen, habe ich einen guten Job gemacht.“

Wäre das nicht auch das Traumziel vieler Augenoptik-Chefs, wenn Mitarbeiter ihnen folgen, weil sie wollen – und nicht, weil sie sollen? Die Seminarteilnehmer sind jedenfalls hochkonzentriert bei der Sache und notieren eifrig die zahlreichen Ideen, um sie nach Rückkehr in ihre Betriebe umzusetzen. Für sie hat sich der Blick über den Tellerrand der eigenen Branche damit mehr als gelohnt.

Machen wir doch gleich ein Spiel daraus

Ein unscheinbarer Gewerbepark an der Autobahn A1 Abfahrt Cloppenburg in Niedersachen. Flaches Land, soweit das Auge reicht. Hier findet an einem spätwinterlich kalten Märzfreitag der 2. Community-Day von GoGREAT statt – eine Organisation, die 2016 von der Strategieexpertin Dr. Kerstin Friedrich und ihrem Geschäftspartner Timo Kaapke gegründet wurde. Auch sie sind angetrieben von der Vision einer neuen Führungskultur, die auf menschlichen Bedürfnissen aufbaut.

Zudem ist das Startup inspiriert vom US-amerikanischen Unternehmer Jack Stack und seinem Buch THE GREAT GAME OF BUSINESS, der einen spielerischen Führungsansatz zur Entfaltung von Mitarbeiterpotenzialen entwickelt hat. Ihre Überzeugung für das Gelingen dieses Ansatzes liegt im erst vor kurzem wissenschaftlich erwiesenen Beweis, dass Menschen (wie überhaupt alle Lebewesen) nicht etwa von Natur aus faul und träge sind, sondern stets einen Beitrag zu etwas großem Ganzen leisten wollen. Inzwischen sind die beiden Gründer von GoGREAT vielversprechend mit den ersten mittelständischen Betrieben unterschiedlichster Branchen in ganz Deutschland unterwegs, um die neuen Anforderungen des Kulturwandels konkret in die Praxis umzusetzen (siehe auch meinen Blog vom Juni 2017 „Die junge Generation tickt anders“).

Rund 50 Gäste sind zu diesem Community Day angereist, zur Hälfte Chefs und Mitarbeiter, die das innovative Konzept mit ihren Teams bereits im eigenen Betrieb umsetzen. Die andere Hälfte besteht aus interessierten Unternehmern, Beratern und Coaches. Ich erlebe die Veranstaltung als alles andere als flach und norddeutsch kühl. Humorvoll und agil kommt der Community-Day schnell auf Betriebstemperatur, die Teilnehmer sind zügig im Gespräch miteinander. Machen wir doch gleich ein Spiel daraus: Wieviele Kontakte lassen sich an diesem Tag wohl neu miteinander knüpfen: 100, 300 oder 500? Bei Erreichen der Höchststufe winkt ein Buchgeschenk als Belohnung – für jeden.

In einzelnen Workshops tauschen sich Erfahrene und Neugierige zu den Abläufen des sogenannten Scoreboard-Management™ aus. Dabei werden verschiedene Kennzahlen zunächst auf unkonventionelle, dafür aber einprägsame Art und Weise visualisiert, um für alle Beteiligten im Unternehmen höchste Transparenz zu schaffen – Bälle in Röhren, Comicfiguren auf Bildtafeln und Modellboote in Aquarien, in denen der Wasserpegel den aktuellen Spielstand angibt. So kommt der Spaß beim Spielen und am Erreichen der Ziele nicht zu kurz.

Ihr Ziel der Wissensvertiefung durch Austausch hat die Community am Ende des Tages ebenfalls erreicht: Bereichert und beglückt treten alle wieder die Heimreise an – natürlich mit dem Buchpreis im Gepäck.

Vorsprung im Wettlauf um Kunden und Mitarbeiter

Was haben diese drei Beispiele gemeinsam? Sie verdeutlichen, wie sinnvoll – ja, sogar notwendig es ist, in den Unternehmen noch viel stärker auf menschliche Faktoren wie Authentizität, Augenhöhe und Anerkennung zu setzen. Zugleich widerlegen bisherige Erfahrungen die unbegründete Angst vieler Inhaber, dass ihre Geschäftsergebnisse darunter leiden könnten. Ganz im Gegenteil – ein neuer Führungsstil mit Fokus auf mehr Wohlbefinden aller Beschäftigten und spielerische Herangehensweise im offenen Umgang mit Kennzahlen beschleunigen den wirtschaftlichen Erfolg sogar noch.

Auch augenoptischen Einzelbetrieben bieten sich mit diesen Ansätzen riesige Chancen, im hart umkämpften Markt um Kunden und Mitarbeiter erfolgreich zu punkten. Je eher sich Augenoptik-Chefs auf die neue Führungskultur einlassen und sie im eigenen Unternehmen einbringen, umso größer wird ihr Wettbewerbsvorsprung künftig gegenüber anderen Anbietern sein.

Impressionen zum 2. GoGREAT Community Day