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25 Jahre – doch wozu werden Berater künftig gebraucht?

Ein Vierteljahrhundert bin ich inzwischen als Berater und Coach im Einsatz. Grund genug zu reflektieren, welche Entwicklungen speziell die Augenoptik in dieser Zeit geprägt haben. Und zu fragen, was sich für die Zukunft daraus ableiten lässt. Rückblicke sind hilfreich, um das Ungewisse besser einschätzen und sich darauf vorbereiten zu können. Denn genau darum geht es mir heute wie in den vergangenen 25 Jahren: qualitätsorientierte Einzelbetriebe für die kommende Zeit fit zu machen, damit sie ihre Existenz und weiteres Wachstum trotz Wettbewerb und Wandel sichern können. Eine spezielle Kernkompetenz wird bei Beratern in Zukunft wohl ganz besonders gefragt sein.

Mehrere tausend Analysen, Planungen und Erfolgsauswertungen aus meinen Beratungsprojekten der letzten 25 Jahre liegen hinter mir. Erkenntnisse über unterschiedliche Strategien und Geschäftsentwicklungen haben einen einzigartigen Erfahrungsschatz angehäuft. Was aber nutzt Erfahrung, wenn wir uns derzeit in einer Phase tiefgreifender Veränderungen befinden, in der sich Vorzeichen und Prioritäten umzukehren scheinen? Da hilft zunächst ein Zwischenresümee.

 

1994 – 2003: Die Digitalisierung hält Einzug in die Augenoptik

In die Augenoptik hielt die Digitalisierung schon Anfang der 90er-Jahre ihren Einzug. Mit dem Erfassen von Kunden- und Auftragsdaten war unsere Branche eine der ersten, die sich in das neue Zeitalter der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) aufmachte. Es wird geschätzt, dass zu dem Zeitpunkt insgesamt nur drei Prozent der weltweiten Informationskapazität digital war. Zehn Jahre später lag der Wert dann schon bei über 50 Prozent, es ließen sich zur Jahrtausendwende also schon mehr Informationen digital als analog speichern.

Zahlreiche Augenoptikkollegen taten sich anfangs noch schwer mit der neuen Entwicklung. Als ich von meiner bisherigen Tätigkeit als Betriebsleiter eines Augenoptikgeschäftes (das bereits EDV einsetzte) auf die Beraterseite wechselte, traf ich bei vielen meiner neuen Kunden auf Vorbehalte und Berührungsängste mit der neuen Technologie.

Andererseits begaben sich einige innovationsfreudige Chefs auf den neuen Weg, weil sie die Chancen eines EDV-basierten Betriebsmanagements erkannt hatten. Krankenkassenabrechnung, Kundenpflege per Direktwerbung, Sortimentssteuerung: Das waren die ersten Tools, mit denen diese Unternehmen ihre Abläufe modernisierten. Mut und Risikobereitschaft der ersten „EDV-Pioniere“ wurden reichlich belohnt. Sie konnten sich im Wettbewerb mit stark aufkommenden Großanbietern einen klaren Vorsprung im Markt verschaffen.

Meine Beratungsunterstützung richtete sich während dieser ersten Digitalisierungsphase vor allem auf die Nutzungsmöglichkeiten, die in den Computern steckten: Welche Erkenntnisse lassen sich aus den Daten ziehen, die durch die Kunden- und Auftragserfassung gewonnen werden? Wie können Stammkäufer zielgerichtet angesprochen werden, um sie dauerhaft an das Unternehmen zu binden? Welche Spar- und Umsatzpotenziale werden über das Sortiment erzielt, wenn man den Fassungseinkauf systematisch steuert?

 

  • Folglich fand die Beratung in erster Linie über die Kommunikation mit EDV-Systemen, also mit Maschinen statt. Es ging darum, einen technologischen Wissensvorsprung zu nutzen und die Betriebsabläufe effizienter zu gestalten.  

 

2004 – 2013: Strategie und Führung gewinnen an Bedeutung

Dann stand das Jahr 2004 vor der Tür und mit ihm die Herausnahme der Brille aus der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Wegfall führte dazu, dass rund ein Fünftel der Brillenkäufer zu Filialisten abwanderte. Viele glaubten, ihre Brille dort günstiger erwerben und den fehlenden Kassenzuschuss von bis zu 100 Euro kompensieren zu können.

Die Chefs qualitätsorientierter Einzelunternehmen mussten nun Lösungen finden, das entstandene Umsatzloch wieder zu füllen. Strategisches Denken und Planen war jetzt stärker gefordert als je zuvor: Wie positionieren wir unseren Betrieb in der Zeit nach dem Kassenzuschuss? Wie richten wir unser Leistungsangebot aus? Welche Kunden sprechen wir an, auf welche verzichten wir? Nahezu jedes Unternehmen brauchte ein strategisches Update, um aus der Vergleichbarkeit der grauen Anbietermasse herauszutreten.

Zugleich waren neue Führungsqualitäten gefragt, denn Unternehmer standen plötzlich unter einem stärkeren Erwartungsdruck, als das bislang der Fall gewesen war. Auf der einen Seite wurden qualitätsorientierte Kunden immer anspruchsvoller, auf der anderen forderten die eigenen Mitarbeiter sichere Arbeitsplätze und zunehmend mehr Mitspracherecht. Daraus entwickelte sich eine zusätzliche Facette der Beratungsunterstützung – das systemische Coaching. Hierbei kam es darauf an, den Führungskräften die richtigen Werkzeuge an die Hand zu geben und sie beim Erfüllen ihrer Aufgaben zu unterstützen.

 

  • Kurzum: In dieser Phase fand die Beratung nahezu ausschließlich mit den Inhabern statt. Es ging darum, die Strategie und Führung ihrer Betriebe in eine Richtung zu lenken, die ihnen weiteres Wachstum ermöglicht.

 

2014 – 2019: Eine neue Arbeitskultur erwacht

In den letzten Jahren der aktuellen Dekade wird immer deutlicher, dass sich unsere Arbeitswelt extrem verändert. Zu den wesentlichen Ursachen gehören Fachkräftemangel und Wertewandel in den nachrückenden Generationen. Das Finden und Binden guter Mitarbeiter ist für qualitätsorientierte Augenoptikbetriebe zur wichtigsten unternehmerischen Aufgabe geworden. Auf Platz eins der Überlebensfragen steht heute nicht mehr „Mit welcher Strategie schlage ich die Konkurrenz?“, sondern: „Wie bekomme und fördere ich Mitarbeiter, mit denen ich meine Vision weiterentwickeln und umsetzen kann?“.

„Nur“ Kundenbedürfnisse erfüllen – das allein reicht nicht mehr. Mit gleicher Priorität müssen Chefs nun auch die Wünsche und Erwartungen ihrer Mitarbeiter berücksichtigen. Eine auf Transparenz, Teilhabe und Selbstorganisation ausgerichtete Führung ist daher die erfolgversprechendste Aktivität, mit denen Unternehmen die aktuelle Herausforderung bewältigen können.

Genau hier setzen meine neuen zusätzlichen Beratungskonzepte den Hebel an, indem sie immer häufiger nicht nur die Chefin oder den Chef, sondern das komplette Team einbeziehen. Gamification (spielerischer Ansatz) und Workshops, um gemeinsame Werte, Projekte und Ziele zu verfolgen: Teammitglieder möchten schließlich wissen, was in „ihrem“ Betrieb läuft. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass auf diese Weise sinnhaft und partnerschaftlich geführte Unternehmen einen stärkeren Zusammenhalt entwickeln als andere und damit eine neue Erfolgsspur legen.

 

  • Aktuell finden Beratungen mehr und mehr unter Einbeziehung der kompletten Teams statt. Den Unternehmen gelingt es damit, ihre Vision gemeinsam zu verfolgen und langfristig mehr Wertschöpfung zu erzielen.

In Workshops entwickeln und verfolgen Unternehmen ihre Vision gemeinsam und stärken damit zugleich den Team-Zusammenhalt

 

Und was kommt ab 2020?

Weiter zunehmende Komplexität wird uns in den nächsten Jahren immer anspruchsvoller fordern. Unsichere Rahmenbedingungen und kurzzeitige Veränderungen beschleunigen die Gefahr, den Überblick zu verlieren. Einen rückwärtsgewandten Weg zur „Einfachheit von früher“ wird es jedoch nicht geben, auch wenn einige Populisten uns das glauben machen wollen.

Die neue Konnektivität und agiles Navigieren in modernen Netzwerken werden die weitere Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft prägen. Das wird vieles, was uns heute noch sicher und vertraut erscheint, auf den Kopf stellen. Bestehende Beziehungen könnten sich lösen, Wettbewerber plötzlich zu Kooperationspartnern und Kunden zu Mitgestaltern oder Mitunternehmern werden. Was auch immer im Einzelnen passieren wird: Der grundlegenden Transformation wird sich kein Unternehmen entziehen können.

Angesichts dieser Vielschichtigkeit werden künftig „Wegweiser und Orientierungshelfer aus Fleisch und Blut“ als externe Unterstützer in den Organisationen mehr denn je gefragt sein. Diese Berater und Begleiter sollten sich nicht nur in der digitalen Welt sicher bewegen und mehrdimensional denken können, sondern vor allem über eine moderierend-gestalterische und vermittelnde Kompetenz verfügen. Ihre Aufgabe: Menschen unterschiedlichster Generationen und Fähigkeiten zu verbinden und in ihrer Wirksamkeit zu verstärken, um den Betrieben nutzenorientierte und nachhaltige Perspektiven zu eröffnen.